Neuss-Koenenlager

In Neuss erfahren die drei Freunde, warum römische Soldaten Stiefel mit vielen Schlitzen trugen, und andere interessante Fakten über die Ausrüstung der Soldaten.

Undichte Stiefel und andere römische Kleidungsstücke

„Du, Nina, wir sind ja schon wieder mitten in der Stadt“, wundert sich Nicki. „Stehen wir etwa schon wieder an einem Legionslager?“ „Genau so ist es“, bestätigt Nina. „Wir stehen hier auf der via principalis, der Hauptstraße des Legionslagers in Neuss, dem römischen Novaesium.“

„Dort drüben auf der anderen Straßenseite gibt es ja ganz schön viele römische Denkmäler!“, ruft Klaus. „Das sind Kopien von Funden, die die Archäologen und Archäologinnen hier in Neuss gemacht haben“, erklärt Nina. „Die Originale davon und ganz viele andere Funde aus dem römischen Novaesium sind im Clemens Sels Museum hier in Neuss ausgestellt.“

„Was haben die römischen Soldaten eigentlich für eine Ausrüstung gehabt?“, fragt Klaus und zupft Nina am Kleid. „Oh, das weiß ich!“, ruft Nicki Nuss aufgeregt dazwischen und holt tief Luft. „Fangen wir mal mit der Kleidung an: Römische Soldaten trugen im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus eine Tunika. Das ist eine Art Hemd aus Wolle. Ob die Tunika farbig war, wissen wir nicht. Die Tunika reichte fast bis zu den Knöcheln. Um den Saum bis zu den Knien hochziehen zu können, wurde die Tunika unter einer Bauchbinde gerafft. An den Füßen trugen die Soldaten die caligae“, erklärt Nicki.

„Die kenne ich!“, ruft Klaus dazwischen. „Römische Sandalen!“ „Das stimmt nicht ganz“, berichtigt Nicki. „Die caligae waren keine Sandalen, sondern Stiefel. In die hatten die Schuhmacher aber ganz viele Schlitze geschnitten. Die sollten die Füße schnell wieder trocknen lassen, wenn die Soldaten mal durch einen Bach laufen mussten.“

Jetzt kann sich Nina ein Lachen nicht verkneifen: „Solche Stiefel wären was für dich, Klaus, wenn du dich mal wieder in einem Bach austoben möchtest.“

Rekonstruierte Farbfassung des Grabsteins eines Feldzeichenträgers. Übersetzt steht da Folgendes geschrieben: Hier ruht Tiberius Julius Pancuius, Soldat der Lusitanerkohorte. Er wurde 55 Jahre alt und hat 28 Jahre gedient.
Ein Legionär in vollständiger Rüstung

Nicki bleibt ernst und fährt fort: „Über der Tunika trugen die römischen Soldaten eine Art gepolsterte Weste, die subarmalis. Die Fransen aus Leder an den Schultern und am unteren Rand kann man gut erkennen. Über der subarmalis trug der Soldat die Rüstung, die Iorica. Meistens war das ein Kettenhemd aus vielen Tausend kleinen Eisenringen. Die Schultern waren mit einer zweiten Lage extra verstärkt. So ein Kettenhemd konnte schnell acht Kilogramm und mehr wiegen. Damit die Rüstung am Hals nicht scheuerte, haben sich die Soldaten ein Tuch um den Hals gelegt, das focale.“

„Was waren das eigentlich für komische Bänder vorne am Gürtel der römischen Soldaten?“, fragt Klaus nach. „Du meinst die pteryges am cingulum militare?“, fragt Nicki zurück. „Ich verstehe nur Bahnhof“, sagt Klaus. Nicki erklärt ihm, was er mit diesen lateinischen Wörtern meint: „In der Forschung wird überlegt, ob diese Gürtelbänder, die pteryges, den Unterleib der Soldaten schützen sollten. Besonders wirksam war das aber sicher nicht. Übrigens durften nur Angehörige der Armee solch einen Gürtel mit seinen vielen Metallverzierungen tragen.“

„Womit haben sich römische Soldaten denn noch geschützt?“, will Klaus weiter wissen. „Mit einem Helm, den nannten sie cassis oder auch galea“, fährt Nicki fort. „Zur Zeit des Augustus, zu Beginn des 1. Jahrhunderts nach Christus, war der noch aus Bronze, mit einem hoch angesetzten und recht kleinen Nackenschirm. Der wurde aber dann nach und nach durch Helme aus Eisen ersetzt. Der Nackenschirm wanderte immer weiter nach unten und wurde dabei immer größer. Gleichzeitig wurden auch die Wangenklappen immer größer, bis sie das Gesicht des Soldaten vollständig umschlossen“, glänzt Nicki mit seinem Wissen.

„Haben eigentlich alle römischen Soldaten so einen großen, rechteckigen Schild getragen?“, will Nina wissen. „Nein“, antwortet Nicki. „Den gewölbten scutum haben nur die Legionäre getragen. Zur Zeit des Augustus war der noch oval. Später wurde er aber durch die rechteckige Form abgelöst. Der Schild bestand aus Sperrholz mit einem Überzug aus Leinenstoff oder Leder. Der Rand war mit Bronze verstärkt. Zum Schutz der Hand war in der Mitte über dem Loch mit dem Griff der Schildbuckel angebracht. So ein Schild wog neun Kilogramm.“ Klaus kratzt sich an seinem Glatzkopf und denkt laut nach: „Das ist so viel wie neun Packungen Zucker!“

„Und welche Waffen haben die Legionäre getragen?“, will Klaus dann wissen. Nicki erklärt: „Die Hauptangriffswaffe war der Wurfspeer, das pilum. Das war eine sehr schlaue Konstruktion. Die lange Eisenspitze war nämlich nur ganz vorne gehärtet. Der Rest war aus recht weichem Eisen. Das hat sich verbogen, wenn die Waffe auf die Schilde der Gegner traf. Das pilum konnte dann nicht mehr herausgezogen werden.“

„Ja, und?“, macht Klaus ein fragendes Gesicht. „Na, mit einem pilum am Schild kannst du nicht mehr gut weiterkämpfen. Je nachdem musst du sogar den Schild fallen lassen und ohne Deckung kämpfen“, erklärt Nicki. „Für den Nahkampf hatten die Legionäre den gladius. Das ist ein kurzes Schwert und war für den Stoß gedacht, durch die Lücken zwischen den Schilden hindurch. Für einen weit ausholenden Schlag war in der engen Formation der Legionäre kein Platz. Am Gürtel war dann noch der sogenannte pugio befestigt, ein Dolch.“ Klaus schaut sich seine Hose an und seufzt erleichtert. „Ich trage in meiner Hosentasche nur ein paar Bonbons mit!“

Der Blick vom Eingang des Legionslagers Novaesium über die Hauptstraße in Richtung praetorium.

Das Legionslager Novaesium

Das Legionslager Novaesium entstand nach einer Reihe von Vorgängerlagern in den 30er-Jahren des 1. Jahrhunderts nach Christus. Es hatte, wie andere Lager auch, zunächst eine Holz-Erde-Mauer und Gebäude aus Fachwerk. Um das Jahr 43 begann die legio XVI Gallica mit dem Ausbau in Stein. Die 16. Legion gab das Lager während eines Aufstands der Bataver kampflos auf und übergab es an die Aufständischen. Die Legion wurde nach dieser Niederlage aufgelöst. Als Ersatz wurde die legio VI Victrix aus Spanien nach Neuss verlegt. Sie baute das Lager weiter aus. Im Jahr 103 wurde die legio VI Victrix aus Neuss abgezogen. Danach stand das Lager leer. Erst etwa 100 Jahre später wurde auf dem Gelände ein neues, kleineres Kastell für eine ala der römischen Reiterei errichtet.

Neuss-Reckberg

Die wissbegierigen Freunde machen heute eine kleine Wanderung. Sie reisen in die Vergangenheit, zu den Römern in Neuss-Reckberg. Denn dort steht ein Wachtturm, der auch heute noch beeindruckt.

Ständig auf der Hut: Das Kleinkastell und der Wachtturm

„Schaut mal, hier ist ja ein richtiges römisches Gebäude zu sehen!“, ruft Nicki Nuss seinen Freunden Nina und Klaus zu. Das Trio ist auf der Straße „Am Reckberg“ östlich von Neuss unterwegs. „Aber Nicki, dann wäre der Turm ja fast 2 000 Jahre alt“, gibt Nina ihrem Freund zu bedenken.

„Das ist doch bestimmt ein Nachbau!“, kommentiert Klaus. „Stimmt“, bestätigt Nina. „Wie alle Nachbauten von römischen Wachttürmen sieht dieser aus wie eine Darstellung auf einer Siegessäule, die für Kaiser Trajan in Rom gebaut wurde, die nennt man Trajanssäule. Da man auch hier nur die Grundmauern ausgegraben hat, weiß man nicht, wie viele Etagen der Turm hatte, wie hoch er war oder ob er tatsächlich einen umlaufenden Wehrgang hatte“, erklärt Nina und zuckt mit den Schultern.

„Wann haben die Römer den Turm gebaut?“, will Klaus wissen. „Irgendwann im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts nach Christus“, weiß Nina. „Das würde zumindest ganz gut zu Wahrscheinlich hat der Turm dann etwa 100 Jahre lang gestanden, bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts.“ Nicki unterbricht seine Freundin: „Zu dieser Zeit haben doch die Germanen und Römer gegeneinander gekämpft“, fällt dem Eichhörnchen ein. „Da könnte der Turm dann zerstört worden sein.“ „Ein paar hundert Meter von hier, ebenfalls direkt an der Straße, gibt
es übrigens noch mehr römische Reste“, erzählt Nina weiter. „Dort hatten die Römer ein schon fast winziges Kastell gebaut.“

„Ist das Kastell genauso alt wie der Wachtturm?“, fragt Klaus. „Ja, wahrscheinlich“, antwortet Nina. „Zuerst haben die Römer auch hier ein Lager mit einer Holz-Erde-Mauer gebaut. Das war sogar ein kleines bisschen größer als das Kastell aus Stein, das sie dann später errichtet haben. Wie beinahe um jedes ihrer Lager haben die Römer auch hier einen doppelten Graben gezogen.“

Der Wachtturm hatte einen Grundriss von ungefähr fünf mal fünf Metern und war auf einen Steinsockel aufgesetzt. Er war wohl von einer Palisade und einem Spitzgraben umgeben.

„Warum haben die Römer eigentlich ausgerechnet hier ein so kleines Lager und einen Wachtturm gebaut?“, erkundigt sich Nicki Nuss. „Wahrscheinlich, weil es ganz in der Nähe eine flache Stelle im Rhein gab – eine Furt, an der man den Fluss auch ohne Brücke überqueren konnte“, antwortet Nina. „Solche Stellen mussten natürlich überwacht werden. Tatsächlich konnte man vom Turm aus weit in das Land der Germanen sehen. Im Falle eines Angriffs konnte die Wachmannschaft dann rechtzeitig die Besatzungen der Kastelle in Neuss und Dormagen alarmieren.“

„Und wie das meistens so ist, wenn man Handelswaren über eine Grenze bringt, mussten sie dann Zoll bezahlen“, fällt Klaus ein. „Ja, genau“, bestätigt Nina. „Die Furt war ein guter Handelsplatz. Genau deshalb gab es auf der anderen Straßenseite, gegenüber vom Wachtturm, ein kleines Dorf. Da konnten die Germanen ihre Pelze und ihren Bernstein gleich gegen schöne Tontöpfe und Gläser eintauschen.“

„Und gegen römische Waffen!“, ruft Nicki dazwischen. „Ja, und gegen Waffen“, bestätigt Nina. „Denn obwohl den meisten Römern vollkommen klar war, wozu germanische Krieger die Waffen brauchten, haben manche von ihnen damit trotzdem Geld verdienen wollen.“

Blau: römischer Rhein; orangefarbene Linie: Straße (teilweise rekonstruiert); grün: Siedlung; rot: Gräberfeld orange: Militäranlagen

Die Lage des Kleinkastells, des Wachtturms, des Dorfes und der Friedhöfe am Reckberg. Die Grundfläche des Wachtturms ist in diesem Bild für eine bessere Erkennbarkeit vergrößert dargestellt.

Schon gewusst?

Die heutige Straße „Am Reckberg“ verläuft tatsächlich genau da, wo auch die Römerstraße zwischen den Lagern Novaesium und Durnomagus verlief. Reiter waren schnell unterwegs. Außerdem haben nicht nur plündernde Germanenhorden den Rhein überquert. Viele Germanen kamen auch, um friedlich Handel zu treiben. Auch viele Römer sind genau deswegen in die Germania magna gegangen.