Archäologie ohne Ausgrabung
„Hier ist der Rhein auch heute noch eine Grenze“, meint Nina und zeigt nach Norden. „Da drüben, keinen Kilometer von hier entfernt, auf der anderen Rheinseite, sind die Niederlande.“ Nina, Nicki Nuss und Klaus stehen an der Ecke Düffelgaustraße und Kranichweg in Kleve, im Ortsteil Keeken. „Und hier“, Nina zeigt in die andere Richtung, „ist das letzte Römerlager auf unserer Tour. Das haben die Römer an einer ganz wichtigen Stelle gebaut. Denn nur ein bisschen weiter rheinabwärts gabelt sich der Rhein und umfließt die Bataver-Insel.“
„Ach je, Nina, hier ist ja schon wieder nichts von dem Lager zu sehen“, beschwert sich Nicki. „Das liegt daran, dass auch hier nichts ausgegraben wurde“, erklärt Nina. „Das Thema hatten wir doch schon: Archäologinnen und Archäologen machen heute nur noch dann eine Ausgrabung, wenn ein Denkmal im Boden von der Zerstörung bedroht ist oder wenn sie ganz spezielle Fragen haben. Denn auch ein Bodendenkmal auszugraben, bedeutet, es zu zerstören. Deswegen gehen Archäologinnen und Archäologen bei der Ausgrabung immer planvoll und mit Bedacht vor. Alles, was sie finden, wird sorgfältig beschrieben, fotografiert, gezeichnet und vermessen. Anschließend kommen die Unterlagen in ein Archiv und die Funde werden gereinigt, verpackt und in einem Magazin gelagert. Nur so bleiben die bei der Ausgrabung gewonnenen Informationen für die Forschung erhalten.“
„Aber wie haben die Archäologen und Archäologinnen das Lager hier finden können?“, hakt das Eichhörnchen nach. „Durch die Auswertung von Luftbildern. Wo die Reste von alten Bauwerken im Boden liegen, wachsen Pflanzen nämlich anders. Das kann man aus der Luft sehen. So wurde auch der doppelte Graben entdeckt, der das Lager hier umschloss.“
„Wie groß war denn das Lager?“, will Klaus wissen. „War hier eine ganze Legion stationiert?“ „Der vollständige Umriss des Lagers ist nicht bekannt“, erklärt Nina. „Auch Gebäude im Lagerinneren sind nicht nachgewiesen. Genauso wenig weiß man, ob hier dauerhaft Truppen stationiert waren oder ob das Lager nur als Durchgangsstation diente. Auf jeden Fall war die Kontrolle über die Flussverzweigung hier sehr wichtig. Immerhin waren Rhein und Waal die Verbindung Niedergermaniens zur Nordsee und damit nach Britannien.“
„Aber wenn an so vielen Stellen gar nicht ausgegraben wurde, wie haben die Archäologen und Archäologinnen all das herausgefunden, was du uns entlang des Niedergermanischen Limes erzählt hast?“, fragt Klaus bei Nina nach. Nina nimmt sich Zeit für eine Antwort: „Zunächst ist da einmal die Prospektion. So nennt man eine Vor-Suche. Oft sind es ja zufällige Funde von einzelnen Objekten auf einem Feld oder einer Wiese, die die Archäologinnen und Archäologen auf die Spur bringen. Wenn aufgrund solcher Zufallsfunde ein Verdacht auf weitere Reste im Boden besteht, dann wird die Fläche drumherum abgesucht, um sogenannte Lesefunde einzusammeln. So bekommt man schon einmal eine Idee vom Alter und von der möglichen Ausdehnung eines Bodendenkmals. Mithilfe von Bohrungen erhält man dann weitere Informationen über Bodenaufbau und -verhältnisse.“
„Oh Mann, so viele Untersuchungen schon vor der Ausgrabung!“, wundert sich Nicki Nuss. „Es wird noch besser“, fährt Nina fort. „Jetzt kommt die Geophysik zum Einsatz, nämlich zum Beispiel die Messungen des magnetischen Feldes der Erde und des elektrischen Widerstandes des Bodens. Man kann die obersten Bodenschichten auch mit Radarstrahlen durchleuchten. Das macht man in einem regelmäßigen Raster. Mit der Magnetik lassen sich besonders gut größere Objekte zum Beispiel aus Eisen, Basalt oder gebranntem Ton nachweisen. Auch verfüllte Gräben und Gruben sind mit diesem Verfahren oft gut zu erkennen. Der elektrische Widerstand im Boden wird in erster Linie durch den Wassergehalt bestimmt. Man misst also, wie viel Wasser der Boden speichert“, erläutert Nina und beeindruckt ihre Freunde wieder einmal mit ihrem Wissen.
„Und erst dann wird ausgegraben?“, wundert sich Nicki. „Ja“, bestätigt Nina, „und dann werden auch nicht wild Löcher gebuddelt und die gefundenen Sachen einfach aus dem Boden gerupft. Erst wird alles genau gemessen, gezeichnet und fotografiert. Erst, wenn das alles erledigt ist, kommen die gefundenen Gegenstände in die Restaurierungswerkstatt eines Museums. Genauso wichtig wie die Funde, also die Sachen, die man ausgraben kann, sind übrigens auch die Befunde. Das sind Veränderungen im Boden.
So eine Veränderung kann zum Beispiel ein Graben sein, der im Laufe der Zeit wieder verfüllt wurde. Ganz häufig sind auch dunkle Flecken im Boden, die uns zeigen, wo einmal die heute meist längst verfaulten Holzpfosten eines Hauses in der Erde gesteckt haben. Ohne das Wissen über diese Strukturen und ihre Anordnung zueinander sind alle Funde, die heute in den Museen liegen, wissenschaftlich fast wertlos.“